BGH v. 3.7.2024 - XII ZB 506/22

Nach Ausgangsentscheidung über Versorgungsausgleich entstandenes Anrecht stellt noch nicht ausgeglichenes Anrecht i.S.d. § 20 Abs. 1 VersAusglG dar

Ein Anrecht, das nicht in die Ausgangsentscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich einbezogen war, bleibt im Rahmen eines Abänderungsverfahrens nach § 51 VersAusglG grundsätzlich auch dann außer Betracht, wenn es zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung noch nicht existent war und erst später durch eine Rechtsänderung entstanden ist (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 1.3.2023 - XII ZB 444/22, FamRZ 2023, 764). Ein erst nach der Ausgangsentscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich entstandenes Anrecht stellt regelmäßig ein noch nicht ausgeglichenes Anrecht i.S.d. § 20 Abs. 1 VersAusglG dar und steht daher einem Wertausgleich nach der Scheidung gem. §§ 20 ff. VersAusglG offen.

Der Sachverhalt:
Der Antragsteller begehrt die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege einer Totalrevision nach § 51 Abs. 1 VersAusglG. Die 1972 geschlossene Ehe des im Jahr 1939 geborenen Antragstellers und der im Jahr 1942 geborenen früheren Ehefrau wurde durch Urteil des AG im März 2005 rechtskräftig geschieden. Zudem wurde der Versorgungsausgleich geregelt. Während der gesetzlichen Ehezeit hatten beide Ehegatten jeweils Versorgungsanwartschaften in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung für Ärzte (Versorgungswerk) erworben, und zwar der Antragsteller i.H.v. mtl. rd. 3.200 € und die frühere Ehefrau i.H.v. mtl. rd. 1.600 €. Das AG führte den Versorgungsausgleich im Wege der Realteilung nach § 1 Abs. 2 VAHRG durch, indem es zulasten des Anrechts des Antragstellers Anwartschaften i.H.v. mtl. rd. 800 € zugunsten der früheren Ehefrau bei dem Versorgungswerk begründete.

Die frühere Ehefrau bezog seit Juli 1992 ein vorgezogenes Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit vom Versorgungswerk. Sie verstarb im März 2010, ohne versorgungsberechtigte Hinterbliebene zu hinterlassen, und wurde von ihren sechs Kindern beerbt. Der Antragsteller erhält seit März 2002 ein Altersruhegeld vom Versorgungswerk. Im August 2020 begehrte der Antragsteller die Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich. Er macht geltend, dass der früheren Ehefrau für ihre sämtlich vor dem 1.1.1992 geborenen Kinder eine sog. Mütterrente zugestanden hätte, und erstrebt im Hinblick auf ihr Vorversterben eine Rückgängigmachung des Versorgungsausgleichs. Auf Ersuchen des AG hat das Versorgungswerk für das Anrecht des Antragstellers einen Ehezeitanteil von rd. 3.200 € und einen Ausgleichswert von rd. 1.600 € sowie für das Anrecht der früheren Ehefrau einen Ehezeitanteil von rd. 1.600 € und einen Ausgleichswert von rd. 800 € mitgeteilt. Der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (Beteiligte zu 2) hat auf Nachfrage erklärt, dass für die frühere Ehefrau weder ein Rentenvorgang noch ein Beitragskonto zu ermitteln seien.

Das AG wies den Abänderungsantrag zurück. Die Beschwerde des Antragstellers blieb vor dem OLG ebenso erfolglos wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.

Die Gründe:
Nach § 51 Abs. 1 VersAusglG ändert das Gericht auf Antrag eine Entscheidung über einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich, die nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht ergangen ist, bei einer wesentlichen Wertänderung ab, indem es die in den Ausgleich einbezogenen Anrechte nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG teilt.

Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ausgesprochen hat, bleibt bei der Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich ein Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) bei der Abänderungsprüfung nach § 51 VersAusglG insgesamt außer Betracht, wenn es im Gegensatz zu anderen gesetzlichen Rentenanrechten nicht bereits in die Ausgangsentscheidung über den Versorgungsausgleich einbezogen war (BGH v. 1.3.2023 - XII ZB 444/22, FamRZ 2023, 764). Dies muss gleichermaßen für den Fall gelten, dass zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung keinerlei Versicherungsverhältnis mit einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bestand und somit überhaupt kein gesetzliches Rentenanrecht existierte, das in die Entscheidung einbezogen werden konnte.

In Rechtsprechung und Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, dass eine Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG eröffnet sei, wenn ein Anrecht erst nachträglich durch eine Gesetzesänderung entsteht, weil dieses im Rahmen der Ausgangsentscheidung naturgemäß keine Berücksichtigung habe finden können und es daher auch nicht übersehen, vergessen oder verschwiegen worden sei. Dem kann aber bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil § 51 Abs. 1 VersAusglG zum einen tatbestandsmäßig eine Wertänderung voraussetzt und die Vorschrift zum anderen eine erneute Teilung der in den Ausgleich einbezogenen Anrechte anordnet. Ein im Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung noch nicht entstandenes Anrecht erfüllt beide Voraussetzungen nicht; es erfährt weder eine Wertänderung noch handelt es sich um ein in den Ausgleich einbezogenes Anrecht, das an der Totalrevision teilnähme.

Der hauptsächliche Unterschied zu den übersehenen, vergessenen oder verschwiegenen Anrechten liegt darin, dass ein im Zeitpunkt der Erstentscheidung noch nicht existentes Anrecht nicht Gegenstand dieser Entscheidung sein konnte und somit auch nicht von deren Rechtskraftwirkung erfasst wird. Bereits im Zeitpunkt der Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich entscheidet sich, ob ein Anrecht im Wege des Wertausgleichs bei der Scheidung nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG oder des Wertausgleichs nach der Scheidung gem. §§ 20 ff. VersAusglG auszugleichen ist. Alle Anrechte, die im Zeitpunkt der Erstentscheidung ausgleichsreif sind, sind soweit keine abweichende Vereinbarung der Ehegatten vorliegt grundsätzlich allein im Wertausgleich bei der Scheidung auszugleichen und unterliegen damit von vorneherein nicht dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Umgekehrt kommt der schuldrechtliche Ausgleich für diejenigen Anrechte in Frage, die im Zeitpunkt der Erstentscheidung aus rechtlichen Gründen nicht ausgeglichen werden können.

Ein noch nicht existentes Anrecht kann im Zeitpunkt der Erstentscheidung aus rechtlichen Gründen nicht ausgeglichen werden. Sein nachträgliches Entstehen stellt grundsätzlich auch keinen Abänderungsgrund nach § 51 VersAusglG dar, wobei dahinstehen kann, ob eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn das neu entstandene Anrecht in einer Weise mit bereits ausgeglichenen Anrechten verknüpft ist, dass es auf deren Ausgleichswert zurückwirkt. Besteht eine solche Verknüpfung wie hier nicht, sondern steht das neu entstandene Anrecht für sich allein, so erfüllt es die Voraussetzungen eines noch nicht ausgeglichenen Anrechts i.S.d. § 20 Abs. 1 VersAusglG, das grundsätzlich einem Ausgleich nach der Scheidung offensteht.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
§§ 51 II VersAusglG, 225 II FamFG, 76g SGBVI: Grundrenten-Entgeltpunkte in der Abänderungsentscheidung
BGH vom 01.03.2023 - XII ZB 444/22
FamRZ 2023, 764

Kommentierung | VersAusglG
§ 20 Anspruch auf schuldrechtliche Ausgleichsrente
Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Kommentierung | VersAusglG
§ 51 Zulässigkeit einer Abänderung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs
Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.09.2024 15:56
Quelle: BGH online

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