BVerfG v. 5.9.2024 - 2 BvL 3/17

Richtervorlage zu der in § 32 Abs. 6 EStG festgelegten Höhe des Kinderfreibetrages im Jahr 2014 unzulässig

Das BVerfG hat vorliegend die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 und Sätze 2 und 3 EStG in der 2014 geltenden Fassung festgestellt. Die Vorlage des Niedersächsischen FG betraf die Frage, ob der Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes für das Jahr 2014 der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.

Der Sachverhalt:
Die Regelung zum Kinderfreibetrag ist Teil des sog. Familienleistungsausgleichs, dessen Anliegen die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes einschließlich seiner Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung ist. Zu diesem Zweck werden nach § 32 Abs. 6 EStG entweder der Kinderfreibetrag - dessen Höhe Gegenstand der Normenkontrolle ist - und der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf bei der Berechnung der Einkommensteuer berücksichtigt oder es wird stattdessen Kindergeld als Steuervergütung gewährt. Ob Kindergeld gewährt wird oder die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen sind, richtet sich danach, welche Variante für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Im hier maßgeblichen Jahr 2014 lag unabhängig vom Alter des Kindes der je Kind zu berücksichtigende Kinderfreibetrag bei 4.368 € und der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf bei 2.640 €.

Der Ermittlung des Kinderfreibetrags liegen in tatsächlicher Hinsicht die Berichte der Bundesregierung über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern zugrunde (Existenzminimumberichte). Der Neunte Existenzminimumbericht kam zu dem Ergebnis, dass für das Jahr 2014 eine Erhöhung des damaligen Kinderfreibetrags von 4.368 € auf 4.440 € erforderlich gewesen sei. Umgesetzt wurde dies nicht.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter. 2014 ging ihre ältere Tochter, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte, einer erstmaligen Berufsausbildung nach und wohnte in einem eigenen Haushalt. Die jüngere Tochter hatte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet und lebte im Haushalt der Klägerin. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags 2014 berücksichtigte das Finanzamt für beide Kinder die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein, den sie u.a. mit der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Freibeträge begründete.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren setzte das FG das nachfolgende Klageverfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 und Sätze 2 und 3 EStG für das Jahr 2014 der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird. Das BVerfG entschied, dass die Vorlage unzulässig ist.

Die Gründe:
Die Ausführungen im Vorlagebeschluss verfehlen bereits ihrer Struktur nach die Anforderungen, die an eine nachvollziehbare Darlegung der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der betroffenen Rechtsnorm zu stellen sind. Für keinen der vom vorlegenden Gericht angenommenen Verfassungsverstöße lässt sich dem Vorlagebeschluss eine in sich schlüssige, zusammenhängende und damit insgesamt nachvollziehbare Begründung entnehmen. Darüber hinaus lassen die seitens des FG im Kern erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen nicht erkennen, dass es die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift hinreichend sorgfältig geprüft hat.

Das FG befasst sich wiederholt mit den im Neunten Existenzminimumbericht niedergelegten Erwägungen und versucht ausgehend von diesen, die Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags 2014 zu begründen. Es erörtert jedoch bereits nicht, weshalb es überhaupt auf die dort niedergelegten Erwägungen ankommen sollte. Dergleichen ist auch nicht ersichtlich.

Die Bedeutung der Existenzminimumberichte der Bundesregierung liegt im Sinne einer Erkenntnisquelle darin, zum einen - vornehmlich - in tatsächlicher Hinsicht die Höhe der für die Bemessung des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums maßgeblichen Teilbeträge aufzuzeigen, zum anderen - nachrangig - diese Beträge unter Beachtung der etablierten (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben hin zum Existenzminimum zusammenzufassen. Die Existenzminimumberichte erlauben aber weder unbesehen einen Rückschluss darauf, welche Erwägungen der Festlegung des Kinderfreibetrags im parlamentarischen Verfahren zugrunde gelegen haben, noch begründen etwaige Mängel der Existenzminimumberichte bei der rechnerischen Konkretisierung des Existenzminimums einen Verfassungsverstoß.

Ebenso wenig lassen die in verschiedene Zusammenhänge gestellten, sich wiederholenden Ausführungen des FG zur angeblichen Verfassungswidrigkeit des Ansatzes eines - nach der Anzahl der Altersjahrgänge bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewichteten - altersunabhängigen Durchschnittsbetrags für den Kinderfreibetrag 2014 erkennen, dass es die verfassungsrechtliche (Un-)Bedenklichkeit dieser Regelung sorgfältig geprüft hätte. Denn es setzt sich in diesem Zuge nicht in einer den Darlegungsanforderungen gerecht werdenden Weise mit der zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH auseinander.

Auch soweit das FG davon ausgeht, dass der Kinderfreibetrag 2014 jedenfalls (ausgehend vom Neunten Existenzminimumbericht) um jährlich 72 € zu niedrig bemessen sei, befasst es sich nicht hinreichend mit den Erwägungen des BVerfG und der Rechtsprechung des BFH. Entsprechendes gilt hinsichtlich seiner Annahme, eine Saldierung des Kinderfreibetrags mit dem Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines Kindes nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG komme nicht in Betracht, weil die Freibeträge ihrer Konzeption nach anders geartete Teile des Existenzminimums beträfen, für die auch nicht ersichtlich sei, in welchem Umfang eine Saldierung statthaft sei.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | EStG
§ 32 Kinder, Freibeträge für Kinder
Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG KStG, Kommentar
318. Aufl./Lfg. 05.2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.10.2024 17:54
Quelle: BVerfG PM Nr. 85 vom 2.10.2024

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