OLG Rostock v. 27.9.2024 - 10 UF 50/24

Sorgerechtsentscheidung: Zurückverweisung ohne Antrag eines Beteiligten

Eine Zurückverweisung auf der Grundlage des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG setzt keinen Antrag voraus und kommt auch dann in Betracht, wenn das Familiengericht in einer Sorgerechtssache, bei der durch den antragstellenden Vater die Einrichtung gemeinsamer elterlicher Sorge erstrebt wird, zwar formal im sog. Normalverfahren entschieden, dort aber inhaltlich unter – unzutreffendem – Verweis auf § 1626a Abs. 2 BGB keine bzw. nur eine eingeschränkte Kindeswohlprüfung vorgenommen hat.

Der Sachverhalt:
Die Kindeseltern sind und waren nicht miteinander verheiratet. Sie haben sich im Juni 2022 getrennt. Der Antragsteller hatte die Vaterschaft des Kindes zuvor anerkannt. Er erstrebte die Einrichtung einer gemeinsamen elterlichen Sorge. Die Voraussetzungen seien seiner Ansicht nach gegeben. Konkrete Meinungsverschiedenheiten, die das Kind betreffen würden, beständen nicht. Eine tragfähige Basis für die gemeinsame elterliche Sorge bestehe, die Blockadehaltung der Antragsgegnerin in Bezug auf seinen Umgang werde sich durch eine praktizierte gemeinsame Sorge auflösen. Durch dieses Blockadeverhalten würden die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin und deren fehlende Bindungstoleranz deutlich. Ihm gehe es darum, ein eigenes Informationsrecht zu haben und an der Entwicklung des Kindes aktiv teilnehmen zu können.

Die Antragsgegnerin hat behauptet, in der Beziehung habe Gewalt des Antragstellers ein zunehmend unlösbares Problem dargestellt. Gegenüber ihrem Sohn sei der Antragsteller gewalttätig aufgetreten. Sie sei häufig von dem Antragsteller bedroht worden. Er habe ihr Gewalt für den Fall angedroht, dass sie sich wegen der Vorfälle gegenüber dem Sohn an die Polizei wende. Die Antragsgegnerin hatte zunächst schriftsätzlich angekündigt, die Zurückweisung des Antrags zu beantragen, dann dem Antrag im Erörterungstermin vor dem AG aber - durch ihre Verfahrensbevollmächtigte - zugestimmt.

Das AG hat dem Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt und zwei Anhörungs- und Erörterungstermine durchgeführt. Die Verfahrensbeiständin sowie das Jugendamt haben die Übertragung des Sorgerechts auf die Eltern gemeinsam befürwortet. Das AG hat daraufhin die elterliche Sorge für das Kind auf beide Elternteile übertragen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung hat sie sie ihre Zustimmung widerrufen. Ihre damalige Verfahrensbevollmächtigte habe sie nicht hinreichend über die Folgen ihrer Erklärung aufgeklärt.

Das OLG hat den Beschluss des AG und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Das Beschwerdegericht darf eine Sache gem. § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG an das Gericht des ersten Rechtszugs - anders als in den Fällen des § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG auch ohne einen dahingehenden Antrag eines Beteiligten - zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Von einem solchen Fall ist etwa auszugehen, wenn eine weitere Prüfung eines Antrages wegen des erklärten Einverständnisses der übrigen Beteiligten nicht erfolgte, so wenn das AG nach (später widerrufener) Zustimmung des Antragsgegners die elterliche Sorge gem. § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB ohne weitere Prüfung auf die Antragstellerin übertragen hat, während nunmehr - im Rahmen der Entscheidung gem. § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB - das Kindeswohl umfassend zu prüfen ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.8.2017, 5 UF 162/17; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.2.2011, 6 UF 14/11). Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn das Familiengericht unzutreffend im vereinfachten schriftlichen Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG anstatt im Regelverfahren entschieden hat (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.4.2021, 6 UF 35/21).

Der vorliegende Fall war nicht anders zu beurteilen und rechtfertigte eine zumindest entsprechende Anwendung von § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG, weil das AG ausweislich der Gründe des angefochtenen Beschlusses aufgrund der Zustimmung der Antragsgegnerin die gem. § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich gebotene umfassende negative Kindeswohlprüfung nicht vorgenommen hatte. Es hatte lediglich auf den formalen Akt der Zustimmung der Antragsgegnerin abgestellt und keine - jedenfalls keine umfassende - Kindeswohlprüfung vorgenommen, sondern lediglich die Vermutungswirkung des § 1626a Abs. 2 Satz 2 zu Grunde gelegt, obwohl diese Vorschrift hier tatsächlich nicht einschlägig war (oder ist).

Indem das AG allein auf die Zustimmung abgestellt hatte, hat es im Ergebnis sogar noch weniger an Kindeswohl geprüft, als nach dem Wortlaut der Norm - ihre Anwendbarkeit unterstellt - Voraussetzung für diese Vermutungswirkung wäre, nämlich dass der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich sind. Da die Zustimmung der Antragsgegnerin durch den Widerruf entfallen war, was im Beschwerdeverfahren auch noch zu berücksichtigen war, da die Beschwerde gem. § 65 Abs. 3 FamFG auf neue Tatsachen gestützt werden kann, fehlte es an der Grundlage für die vom AG angenommene Vermutung, was nunmehr eine umfassende Kindeswohlprüfung erforderlich machte, die durch das AG noch nicht vorgenommen wurde. Mithin fehlte es an der gebotenen Entscheidung des AG in der Sache.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.10.2024 15:31
Quelle: Landesrecht M-V

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