OLG Rostock v. 29.11.2024 - 10 UF 112/24

Fehlende Einbeziehung des Kindesvaters: Umdeutung einer Beschwerde in einen Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG

Eine Beschwerde, die mit Blick auf § 57 Satz 1 FamFG unzulässig ist, weil zwar ein Termin stattgefunden hat, hierbei aber nicht alle (Muss-)Beteiligten einbezogen waren, weshalb im Ergebnis keine mündliche Erörterung i.S.d. § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG stattgefunden hat, kann in einen Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG umgedeutet und das Verfahren auf dieser Grundlage durch das Beschwerdegericht dem Amtsgericht - gerichtskostenneutral - zurückgegeben werden. Auch diejenigen Beteiligten, die den Termin wahrgenommen haben und dort persönlich angehört worden sind (hier: die Kindesmutter), sind auf den Weg des § 54 Abs. 2 FamFG verwiesen, wenn und weil andere Beteiligte (im konkreten Fall der Kindesvater) den Termin nicht wahrgenommen haben und zu ihm auch nicht (ordnungsgemäß) geladen worden sind.

Der Sachverhalt:
Das AG entzog mit Beschluss vom 15.8.2024 beiden Elternteilen auf der Grundlage des § 1666 BGB näher bezeichnete Teilbereiche der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, darunter das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Vorausgegangen war am 13.8.2024 ein Termin, zu dem von den Kindeseltern nur die Kindesmutter anwesend war. Der Kindesvater war weder anwesend noch geladen. Die Kindesmutter hat in dem Termin auf Frage dem Gericht die ladungsfähige Anschrift des Kindesvaters, der Anfang 2024 in die Türkei zurückgezogen sein soll, mitgeteilt.

Der Beschluss wurde der Kindesmutter noch am 15.8.2024 zugestellt. Mit ihrer am selben Tag zunächst nur fristwahrend bei dem AG eingegangenen - wörtlich zunächst so bezeichneten - "Beschwerde" vom 27.8.2024 wendet sich die Kindesmutter gegen den partiellen einstweiligen Sorgerechtsentzug. Begründet hat sie ihre Beschwerde mit separatem Schriftsatz vom 26.9.2024. Neben inhaltlichen Einwendungen macht die Kindesmutter u.a. geltend, dass der Beschluss auch formell fehlerhaft sei, weil der Kindesvater nicht angehört bzw. am Termin beteiligt worden sei.

Der stellvertretende Vorsitzende des Senats äußerte Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde im Hinblick auf § 57 Satz 1 FamFG und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Kindesmutter nahm hierzu nur insofern Stellung, als sie erklärte, sie teile die zum Ausdruck gebrachten Zulässigkeitsbedenken und sei damit einverstanden, dass ihr wörtlich als Beschwerde bezeichneter Rechtsbehelf im Wege der Umdeutung als Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG gewertet und die Sache insofern erneut dem AG zur weiteren Behandlung zugeleitet werde.

Das OLG gab das Verfahren zur Durchführung der mündlichen Erörterung und Entscheidung an das AG - Familiengericht - zurück.

Die Gründe:
Die zunächst ausdrücklich so bezeichnete "Beschwerde" (§§ 58 ff. FamFG) der Kindesmutter ist mit Blick auf § 57 Satz 1 FamFG unzulässig.

Mangels ausreichender Beteiligung des Kindesvaters am Termin liegt letztlich keine Entscheidung "auf Grund mündlicher Erörterung" i.S.d. § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG vor, so dass es bei dem in § 57 Satz 1 FamFG angeordneten Rechtsmittelausschluss sein Bewenden haben muss. Klarzustellen ist, dass eine mündliche Erörterung i.S.d. § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG nicht schon deshalb zu verneinen ist, weil ein Beteiligter am Termin tatsächlich nicht teilnimmt. Bleibt ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter unentschuldigt aus, liegt nach ganz herrschender Auffassung vielmehr eine mündliche Erörterung i.S.d. § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG vor. Hier war aber der Kindesvater schon gar nicht zum Termin geladen.

Die Kindesmutter hat im Termin die Anschrift des Anfang 2024 in die Türkei zurückgekehrten Kindesvaters mitgeteilt. Bei dieser Sachlage war das AG gehalten, zunächst einen Fortsetzungstermin unter Einbezug des Kindesvaters anzuberaumen. Unter diesen Umständen ist die Beschwerde mit Blick auf § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG ('auf Grund mündlicher Erörterung') bereits unzulässig, wobei in diesem Fall eine - im Ergebnis für die Kindesmutter kostenneutrale - Umdeutung in einen Antrag nach § 54 Abs. 2 FamFG in Betracht kommt. Eine "mündliche Erörterung" i.S.d. § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG setzt nämlich grundsätzlich voraus, dass alle Mussbeteiligten - zu denen hier unzweifelhaft auch der Kindesvater zählt (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) - zumindest (ordnungsgemäß) zu dem Termin geladen waren. Die Beschwerde scheidet als statthaftes Rechtsmittel aus, wenn das AG die Sache - wie hier - zwar mit dem Jugendamt und der Kindesmutter (sowie der Beiständin) mündlich erörtert hat, nicht aber mit dem (auch nicht geladenen) Kindesvater.

Letztlich hat das AG hier selbst erkannt, dass der Vater am Termin nicht ordnungsgemäß beteiligt war. Daraus folgt aber nicht, dass nur der Kindesvater keine Beschwerde einlegen kann. Vielmehr kann auch die Kindesmutter bei dieser Sachlage nur nach § 54 Abs. 2 FamFG gegen den Beschluss vorgehen. Indem sie im Termin zugegen war und sich äußern konnte, ist zwar ihre - persönliche - Anhörung erfolgt. Obschon in der Praxis regelmäßig in ein- und demselben Termin zusammenfallend und auch inhaltlich im Zweifel eng verwoben, ist die mündliche Erörterung von der (persönlichen, also ebenfalls mündlichen) Anhörung streng zu trennen; die Erörterung aber setzt die gleichzeitige Anwesenheit aller in die Erörterung einzubeziehenden Beteiligten voraus und scheitert daher - mit Wirkung für und gegen alle Verfahrensbeteiligten, also auch mit Wirkung für und gegen den persönlich angehörten Rechtsbehelfsführer - an der Abwesenheit des (auch nicht geladenen) Kindesvaters. Für ein gespaltenes Rechtsbehelfssystem, wie es das AG seiner Rechtsbehelfsbelehrung erkennbar zu Grunde gelegt hat, kann mithin schon im Ansatz kein Raum sein.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | FamFG
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Dürbeck in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Kommentierung | FamFG
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Dürbeck in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.12.2024 12:42
Quelle: Landesrecht M-V

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