EuGH v. 10.4.2025 - C-607/21
Abhängigkeitsverhältniss: Aufenthaltsrecht der Mutter bei nachgewiesenem Bezug von Unterhalt
Ein Drittstaatsangehöriger, der Elternteil eines Unionsbürgers ist, hat im Aufnahmemitgliedstaat ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate, sofern er nachweist, dass ihm sowohl in seinem Herkunftsland zu dem Zeitpunkt, als er dieses verlassen hat, als auch zu dem Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltskarte von diesem Unionsbürger Unterhalt gewährt wird, wenn zwischen diesen beiden Zeitpunkten mehrere Jahre vergangen sind. Das abgeleitete Aufenthaltsrecht darf dem Drittstaatsangehörigen, der diese Voraussetzung erfüllt, nicht mit der Begründung versagt werden, dass er sich zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltskarte nach den nationalen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats dort illegal aufhält.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige. Sie reiste im Jahr 2011 nach Belgien ein und beantragte die Familienzusammenführung mit ihrem Sohn, der die belgische Staatsangehörigkeit hat. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Daraufhin beantragte sie in den Jahren 2015 und 2017 ein Recht auf Aufenthalt als Verwandte in gerader aufsteigender Linie, der von der niederländischen Lebensgefährtin ihres Sohnes, die vor dem belgischen Standesbeamten eine Erklärung über das gesetzliche Zusammenwohnen mit dem Sohn abgegeben hatte, Unterhalt gewährt wird.
Die Klägerin legte Dokumente aus der Zeit vor ihrer Einreise nach Belgien vor, nämlich aus den Jahren 2010 und 2011, um nachzuweisen, dass sie während dieses Zeitraums von der häuslichen Gemeinschaft, der sie nachgezogen ist, materiell abhängig gewesen sei. Die belgischen Behörden lehnten ihren Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte jedoch ab, da sie diese Dokumente als zu alt ansahen, um nachzuweisen, dass ihr in ihrem Herkunftsland vor ihrer Einreise nach Belgien von dieser häuslichen Gemeinschaft Unterhalt gewährt worden sei.
Das mit der Sache befasste belgische Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und sich mit der Frage an den EuGH gewandt, auf welches Datum nach dem Unionsrecht für die Beurteilung der Voraussetzung abzustellen ist, dass dem drittstaatsangehörigen Elternteil von dem Unionsbürger, dem er nachzieht, "Unterhalt gewährt wird", wenn zwischen der Einreise dieses Elternteils in den Aufnahmemitgliedstaat und der erneuten Beantragung einer Aufenthaltskarte mehrere Jahre vergangen sind. In diesem Zusammenhang möchte das Gericht auch wissen, ob sich dieser Elternteil auf Dokumente stützen kann, die vor seiner Abreise aus dem Herkunftsland ausgestellt wurden, und ob der Umstand relevant ist, dass nach dem nationalen Recht der Aufenthalt dieses Elternteils illegal ist.
Die Gründe:
Der Verwandte in gerader aufsteigender Linie des Partners eines Unionsbürgers, der selbst die Voraussetzungen der Richtlinie erfüllt, muss, um ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt beanspruchen zu können, den Nachweis erbringen, dass ihm sowohl zu dem mehrere Jahre nach seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat liegenden Zeitpunkt der Beantragung einer Aufenthaltskarte als auch zu dem Zeitpunkt der Einreise von dem Unionsbürger und/oder dessen Partner Unterhalt gewährt wird.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat der Verwandte in gerader aufsteigender Linie nach dem Unionsrecht ein Recht auf Aufenthalt, das von der Ausstellung einer Aufenthaltskarte und der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts nach den nationalen Rechtsvorschriften unabhängig ist. Folglich kann ihm dieses Recht nicht mit der Begründung verweigert werden, dass er sich nach dem nationalen Recht in dem Mitgliedstaat, in dem der Unionsbürger, dem er nachgezogen ist, und dessen Partner leben, illegal aufhält.
Für den Nachweis, dass ihm zum Zeitpunkt seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat i.S.d. Unionsrechts "Unterhalt gewährt wird", muss dieser Verwandte in gerader aufsteigender Linie zur Begründung seines Antrags Dokumente vorlegen können, die in der Vergangenheit ausgestellt wurden und ein Abhängigkeitsverhältnis im Herkunftsland zu dem Zeitpunkt belegen, zu dem er diesem Unionsbürger und dessen Partner tatsächlich nachgezogen ist. Diese Dokumente können nicht als veraltet angesehen werden.
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