OLG Oldenburg v. 24.3.2025 - 3 UF 108/23
Kein Ausgleich einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung bei grober Unbilligkeit
Der Ausgleich einer Privatvorsorge wegen Invalidität/ private Berufsunfähigkeitsversicherung bei Ehescheidung findet in Fällen grober Unbilligkeit nicht statt. Das kann der Fall sein, wenn der andere Ehegatte ebenfalls eine Invaliditätsversorgung erhält, die jedoch - wie etwa eine gesetzliche Unfallversicherung - nicht unter den Versorgungsausgleich fällt.
Der Sachverhalt:
Das Familiengericht hat die 2002 geschlossene Ehe der Parteien mit Beschluss vom 4.7.2023 geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Seit Februar 2019 bezieht der Antragsteller eine Berufsunfähigkeitsrente von monatlich ca. 580 €, die bis zum 28.2.2029 begrenzt ist. Er zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge. Das Anrecht des Antragstellers hat das Familiengericht nicht geteilt. Es handele sich um ein Anrecht zur privaten Absicherung der Invalidität, das nach § 28 VersAusglG nur dann auszugleichen sei, wenn auch der andere Ehegatte zum Ende der Ehezeit ein laufendes Anrecht wegen Invalidität beziehe oder die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür erfülle. Das sei nicht der Fall.
Die Antragsgegnerin behauptete, dass sie zum Ende der Ehezeit ebenfalls erwerbsunfähig gewesen sei. Sie habe daher bei dem Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover (GUVH) einen Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente gestellt. Mit Bescheid vom 20.1.2025 hat die GUVH der Antragsgegnerin eine Erwerbsminderungsrente seit dem 5.3.2020 bis heute zugesprochen. Hiernach schwankt der Grad der Erwerbsminderung zwischen 30% und 100 %. Die monatliche Rente liegt entsprechend dem jeweiligen Grad der Erwerbsminderung zwischen 382,20 € und 1.342,16 € monatlich. Der Bescheid ist noch nicht bestandskräftig.
Die Antragsgegnerin begehrte mit ihrer Beschwerde die Teilhabe an der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung des Antragstellers im Rahmen des mit der Ehescheidung durchgeführten Versorgungsausgleichs. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Der Ausgleich wäre grob unbillig und war daher nicht durchzuführen (§ 27 VersAusglG).
Eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs, die zu einer Abweichung des dem Versorgungsausgleich immanenten Halbteilungsgrundsatzes führt, kommt nur dann in Betracht, wenn die vollständige Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig wäre. Eine grobe Unbilligkeit liegt vor, wenn eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in unerträglicher Weise widerspricht. Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des Versorgungsausgleichs ist der Halbteilungsgrundsatz (§ 1 Abs. 1 VersAusglG). Die Härtefallklausel des § 27 VersAusglG hat in diesem Zusammenhang die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs: Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde.
Die Auslegung von § 27 VersAusglG hat sich daher stets an der gesetzlichen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs zu orientieren, nämlich eine gleichberechtigte Teilhabe der Ehegatten an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen zu verwirklichen und dem Ehegatten, der in der Ehezeit keine oder nur geringere eigene Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung zu schaffen. Gleichzeitig hat eine umfassende Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten zu erfolgen (vgl. BGH, Beschl. v. 1.4.2015 - XII ZB 701/13; BGH, Beschl. v. 16.8.2017 - XII ZB 21/17). In diesem Rahmen sind auch solche Versorgungsanrechte mit in die Gesamtabwägung einzustellen, die weder durch Arbeit noch durch Vermögen geschaffen wurden und mithin nicht im Rahmen des Versorgungsausgleichs auszugleichen sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG). Dies betrifft unter anderem Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Infolgedessen war ein Ausgleich der Berufsunfähigkeitsversicherung des Antragstellers als grob unbillig anzusehen. Beide Ehegatten sind teilweise in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert, wobei die Minderung jeweils in der Ehezeit eintrat, und beide beziehen auf Grund ihrer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit eine Versorgung, der Antragsteller eine private Berufsunfähigkeitsversicherung, die Antragsgegnerin eine gesetzliche Unfallversicherung. Im Gegensatz zu der Versorgung des Antragstellers, unterfällt die Versorgung der Antragsgegnerin jedoch nicht dem Versorgungsausgleich. Diese wurde, anders als etwa eine Erwerbsunfähigkeitsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung, nicht durch Arbeit geschaffen. Auch wurde sie, anders als etwa eine private Berufsunfähigkeitsversicherung, nicht durch Vermögen geschaffen. Sie ist mithin nicht im Rahmen des Versorgungsausgleichs auszugleichen, sondern steht auch nach der Ehescheidung allein der Antragsgegnerin zu.
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